Einmal wieder war ich vor Sonnenaufgang aufgebrochen und hoffte auf interessante Begegnungen mit Wild. Inzwischen war die Sonne schon seit fünfzehn bis zwanzig Minuten über den Horizont. In gleisendem Morgenlicht schlich ich am Waldrand entlang und hoffte einem äsenden Reh oder einem Hasen zu begegnen. Gerade wollte ich über eine kleine Kuppe in die darauffolgende Senke schleichen, da sah ich einen Rehkopf an meinem Horizont auftauchen. Rasch, aber vorsichtig suchte ich Deckung durch die Bodenwelle. Kniend, mit der schussbereiten Kamera im Anschlag, wartete ich eine ganze Weile, ob das Reh nicht wieder auftauchen wollte.
Nachdem ich es unbequem abgehockt nicht mehr aushielt, richtete ich mich langsam auf. Cool, das Reh war immer noch da. Schnell suchte ich wieder Deckung. Dieses Spiel wiederholte sich noch einige Male. Meine Lage war an sich misslich. Ein Reh in absoluter Nähe, doch keine Chance auf ein Foto. Zum wiederholten Mal richtete ich mich vorsichtig auf. Hoppla, jetzt erschien weiter rechts über der Kuppe der Kopf eines Rehbocks. So ging ich wieder Deckung suchend in die Hocke. Gut, so war ich für die Rehe außer Sicht, aber damit gab es auch keine Möglichkeit, zu fotografieren. Irgendwie musste ich meine Position ändern. Vorsichtig arbeitete ich mich abgehockt mühselig vorwärts, indem ich mich mit der auf dem Einbeinstativ montierten Kamera abstützte.
Zu meiner Linken hatte ich am Waldrand einen Baumstumpf entdeckt, der einen guten Ansitz abgeben könnte. Würde es mir gelingen, dorthin zu gelangen, ohne die Rehe auf mich aufmerksam zu machen? Im Schneckentempo arbeitete ich mich meinem Ziel entgegen. Plötzlich zog völlig unerwartet Nebel über die nahegelegenen Felder heran. Fast unheimlich zogen immer mehr Nebelschwaden heran. Innerhalb von Minuten war das Sonnenlicht in einer Nebelsuppe untergegangen.
Eine schützende Tarnung hatte ich nun. Immerhin kam ich so erfolgreich zu meinem Baumstumpf, ohne die Rehe zu vertreiben. Doch nicht nur mich tarnte die Nebelsuppe ab, sondern auch die Rehe waren nur noch schemenhaft auszumachen. Die Fotos geben durch die Nachbearbeitung einen etwas verzerrten Eindruck von den Sichtverhältnissen. In Wirklichkeit sah man kaum noch etwas von dem Wild. Der Autofokus hatte nicht genügend Kontrast, so dass ich manuell scharfstellen musste. So saß ich nun in meinem Versteck und beobachtete gespannt, was sich in meiner unmittelbaren Nähe entwickelte. Insgeheim hoffte ich immer, der Nebel würde sich so rasch wieder verziehen, wie er gekommen war. Dieser Wunsch erfüllte sich leider nicht. Was ich jedoch beobachten durfte, war dafür um so großartiger. Rasch wurde klar, dass der Rehbock und die -geiße nicht zufällig beieinander waren. Mit Anfang August war ja immer noch Blattzeit bzw. Rehbrunst. Der Bock umschlich die Geiße förmlich. Rehe sind nur in einem sehr engen Zeitfenster empfänglich. Deshalb folgt ein Rehbock einer Geiße über eine gewisse Zeit. Erst wenn die Geiße bereit ist, lässt diese den Bock an sich heran. Genau diesen Augenblick durfte ich nun beobachten. Was für ein Erlebnis!